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Der Fall des Monats Juni 24

Ich hatte bis April dieses Jahres ein mittelständiges Bildungsunternehmen aus Hamburg als Kunden. Dort habe ich psycho-soziale Notfallversorgung gemacht, Mitarbeitende im Bereich mentale Fitness und MHFA-Ersthelfer ausgebildet sowie Teambuildings und Konfliktmediationen durchgeführt.

Die Mitarbeitenden konnten auch persönliche Coachings bei mir in Anspruch nehmen. Wer bei mir war, war anonym. Wir hatten ein gutes Reporting aufgebaut. Das Unternehmen wusste, wie viele Stunden im Monat geleistet wurden.

Anfang des Jahres verließ der geschäftsführende Gesellschafter das Unternehmen kurzfristig, nachdem seine Anteile verkauft wurden. Seine Rolle wurde vom Finanzvorstand übernommen. Meine Ansprechpartnerin wurde im April entlassen. Das Unternehmen hat jetzt keine MHFA-Ersthelfer mehr. Mein Vertrag wurde zudem sofort gekündigt.

Was lerne ich daraus?
Ob mentale Gesundheit / mentale Fitness in einem Unternehmen gelebt wird, hängt von der Führung ab. Ein Unternehmen wird durch die direkte Führungskraft wahrgenommen. Wenn alle Führungskräfte davon überzeugt sind, dass mental fitte Mitarbeitende die Innovationskraft des Unternehmens vorantreiben und so gut auf Krisen vorbereitet sind, dann kann mentale Fitness Teil der Unternehmenskultur werden.

Im Fall meines Ex-Kunden erwarte ich einen Rückgang der mentalen Fitness und eine Steigerung des subjektiven Stresserlebens, was dann zu einem höheren Krankheitsstand führen wird. Gerade Geschäftsführungsmitglieder haben eine besondere Verantwortung, die mentale Fitness als Erfolgsfaktor der Zukunft wahrzunehmen und zu verankern. Auch, wenn es zu Personalwechseln kommt, wird die mentale Fitness weiterhin Bestandteil der Unternehmenskultur bleiben.

Manche Geschäftsführende in Deutschland betrachten die mentale Fitness/ seelische Gesundheit noch immer als Privatsache. Andere Länder sind da schon viel weiter. Ich habe letzte Woche einen Anruf aus Großbritannien erhalten. Eine Verantwortliche für Employee Wellbeing (vergleichbar mit der Sozialberatung bei uns) rief mich an. In dem deutschen Werk des Konzerns gab es einen Suizid; der deutsche Geschäftsführer wollte das Thema unter den Teppich kehren. Das gab richtig Stress, weil ein proaktiver Umgang mit seelischen Gesundheitsproblemen in der britischen Unternehmenskultur bereits zur DNA gehört.

Jetzt soll in dem deutschen Werk das Bewusstsein und die Unterstützungsangebote zum internen, internationalen Standard angeglichen werden. Ich erwarte da eine geringe Motivation seitens der deutschen GF. Nach dem Prozess wird sich jedoch vieles zum Guten für die Mitarbeitenden wenden. Das motiviert mich dieses Projekt anzunehmen.

Übrigens:
bitte meldet euch bei Suizidgedanken bei der Telefonseelsorge (Tel. 08001110111 und 08001110222 oder im Chat online.telefonseelsorge.de), eurem Hausarzt, einer Person des Vertrauens oder auch gerne jederzeit bei mir.

Liebe Grüße,

Euer Ralf


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